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Wir hatten eigentlich geglaubt, daß das Experiment mit Memnosis sowie dessen
radiogenetischer Abkömmling Merlyn mit seinen Kreisen der Magier zwei
bemerkenswerte Ausnahmen vom arkturianischen Wesen und dessen ethischen Prinzipien darstellten. Wie wir jedoch erkennen sollten, öffneten uns diese Ausnahmen die Tore zu Reichen, welche sich keine einzige unserer Keimzellen je vorstellen hätte können. Wir fanden allmählich heraus, daß diese Reiche der Erfahrung unserer Keimzellennatur trotzten und uns dadurch veranlaßten, uns immer mehr bestimmten Pfaden der Evolution zu öffnen, von denen in unseren idyllischen Trancezuständen auf Ur-Ark-Tania niemand zu träumen gewagt hätte.

Aus unseren Schilderungen habt ihr vielleicht schon folgern können, daß wir
Heterokliten von Arkturus eine binäre bzw. doppelte Natur besitzen. Genau deshalb
waren wir auch so gut für unsere Aufgabe als Planetenzähmer auf unseren ursprünglichen Zwillings’-Planeten Ur-Ark-Tania Major und Ur-Ark-Tania Minor vorbereitet. Es ist natürlich schwierig, all jenen, die nicht über ein binäres Wesen verfügen, die Essenz dessen zu vermitteln, was es heißt, naturbedingt ‚zwillingshaft’ zu sein; doch auch einer eurer eigenen Philosophen hatte einst gesagt: “Einheit ist mehrfacher Natur und besteht zumindest aus zwei Teilen.”

Es genügt wohl zu sagen, daß, als Memnosis die Inkarnation als Einzelwesen in einer das zwillingshaft Auftreten nicht erlaubenden genetischen Situation auf sich nahm, das Tor zu Einzel- bzw. nicht zwillingshaften Inkarnationen geöffnet worden war. Die radiogenetische Ausbreitung, welche als ‚Merlyn’ bekannt werden sollte, war lediglich ein weiterer Beweis für die neue evolutionäre Richtung: individuelle, nicht-zwillingshafte Entwicklung von Intelligenz, jedoch mit Fallen und Gefahren, gegen die unser binäres Wesen uns nur unzureichend gewappnet hatte.

Unsere naturbedingte Leidenschaft ist auf unser binäres Dasein zurückzuführen. Die von euch als ‚männlich’ und ‚weiblich’ bezeichneten Eigenschaften sind beide in der binären Struktur des vegetabilen Körpers erfaßt. Die äußerliche Vielfalt der Organe erhöht unsere Liebeslust, welche dann infolge der binären Struktur unseres Seins innerlich noch wesentlich gesteigert wird. Als Keimzellen besitzen wir keine Gliedmaßen zur Fortbewegung, wie ihr sie kennt.
Stattdessen sind all unsere nach außen verlagerten Organe oder Teile für verschiedene Methoden der sensorisch-erotischen Stimulierung vorgesehen.

Während dies die bevorzugte Entwicklungslinie vegetabiler Körper im äußeren
Arkturus-System darstellte, war die binäre Struktur natürlich nicht die einzige sich in der Galaxis entfaltende Evolutionsform. Memnosis’ Wahl war ein Wendepunkt. Von da an sollten die von der Struktur und dem Charakter der Einzelwesenheit ins Spiel gebrachten karmischen Perspektiven und Möglichkeiten in zunehmendem Maße unser ursprüngliches binäres Sein überschatten.

Folgendes haben wir langsam und geduldig gelernt: Sinnesorgane sind die
Voraussetzung für Wahrnehmungen; diese wiederum stellen die Konstruktionen bereit, aus denen sich das geistige Geflecht der Wirklichkeit zusammensetzt. Verändere die Sinnesorgane, und du veränderst die Wahrnehmungen; verändere die Wahrnehmungen, und der ganze ‚Film’ wird sich ändern. Die niederschmetternde logische Folge daraus ist: Ziehe die Wahrnehmungen durch einen ‚Film’, der nicht unbedingt auf die Schwingungsfrequenz der Sinnesorgane eingestellt ist, und du veränderst möglicherweise die Sinnesorgane selbst.

Diese Erwägungen waren nur noch eine verschwommene Erinnerung der analogischen Heterokliten, als sie das Zwillingssternsystem von Alpha Centauri als nächstes Ziel ihrer Probe erwählten. Memnosis hatten wir zu einer neuen Mission nach Formalhaut ziehen lassen, während Merlyn auf Procyon verblieb. Was den Rest von uns sich selbst zu immer größerer Empfindungsintensität anregenden Sinneskeimzellen betrifft, so war unser erster Gedanke natürlich der gewesen, daß ein Zwillingssternsystem wie Alpha Centauri zur Erkundung durch unser binäres Wesen bestens geeignet wäre.

Im Zuge der Beobachtung dieses Doppelsternsystems von der Warte unseres Raum-
Zeit-Kokons aus registrierten wir höchst, ja sogar extrem, widersprüchliche Phänomene. Es gab Anhaltspunkte dafür, daß Elemente des Sternes Alpha Centauri A Elemente des Sternes Alpha Centauri B auf schreckliche Weise zu beherrschen versuchten. Genauere Informationen zu erlangen war schwierig, weil sich die elektromagnetischen Felder beider Systeme in hochgradiger Fluktuation befanden.

Nachdem wir uns schließlich einen gewissen Durchblick verschafft hatten, bot sich uns die Situation folgendermaßen dar: Eine minderwertige, doch gerissene Kultur vegetabiler Körper hatte die Herrschaft über die vier Planeten von Alpha Centauri A erlangt. Eine andere Gruppe von Lebensformen, welche im Vergleich zu jenen im Alpha Centauri ASystem eher kosmisch-elektrisch ausgerichtet war, hatte versucht, ihre sensorische Entrückung auf den sechs Planeten von Alpha Centauri B zu kultivieren.

Aus Eifersucht auf die größere Zahl von Planeten im Alpha Centauri B-System hatte die minderwertige Kultur der vegetabilen Körper von Alpha Centauri A dazu beschlossen, einen Weg zur Kolonisierung von Alpha Centauri B zu finden. Die Überlegung bestand darin, daß sich auf zusätzlichen Planeten die Bevölkerung ausbreiten und bessere Voraussetzungen zur Entwicklung größerer Vielfalt vorfinden könnte. Als die Alpha A’s jedoch den elektrisch stärker geladenen, aber verhältnismäßig unmotivierten Wesenheiten von Alpha Centauri B begegneten, wurde eine neue Strategie entwickelt: Die Alpha B’s sollten versklavt und sodann ihre Energie zur Verlängerung der kurzen vegetabilen Lebensspannen der Alpha A’s mißbraucht werden.

Diese unserem Empfinden nach schreckliche und widerwärtige Form der Ausbeutung war bereits in vollem Gange, als wir schließlich herausfanden, was sich wirklich auf diesem glücklosen Zwillingssternsystem abspielte. Fortgeschrittene Vertreter unserer Probe überlegten also, welche Art von Dreamspell angewandt und welche Parallelzeit erzeugt werden sollte, um zu vermitteln und die Situation zugunsten der Erreichung sensorischer Freiheit und geistiger Befreiung zu beeinflussen.

In der Absicht, die gewaltige, aber noch inaktive Fähigkeit der Alpha B’s zur Zeit-
Teilhaberschaft zu mobilisieren, wurde eine ihrer mentalen Struktur entsprechende
Schnittstelle geschaffen. Doch gerade, als die Alpha B’s begannen, auf den Zustrom neuer kreativer Engramme zu reagieren, ereignete sich eine Tragödie. Genau zu dem Zeitpunkt, als sie im Begriff waren, sich miteinander zu vernetzen und eine Schutzhülle erhöhten Bewußtseins zu bilden, erhoben sich wie aus dem Nichts gewaltige, furchteinflößende elektrische Stürme. Im Handumdrehen verwandelte sich die Oberfläche eines der Alpha B- Planeten zu einer öden Wüste, während ein anderer Planet seine Umlaufbahn verließ und wenig später explodierte.

Da sie über das furchtbare Geschehen entsetzt waren und die Vermutung hegten, dies sei das Resultat unserer eigenen Unerfahrenheit, versetzten sich einige unserer Keimzellen auf den verwüsteten Planeten, um die Lage zu erkunden. Die Angst und Bestürzung dieser Keimzellen war angesichts der Zerstörungen derart groß, daß sie in keinerlei Weise auf die nun folgenden Ereignisse vorbereitet waren. Völlig unvermutet überfielen mehrere Raumschiffe der Alpha A’s unsere Keimzellen und nahmen sie gefangen.

Nun, all unser Training hatte stets darauf abgezielt, einen Gegner mithilfe von Liebe,
Leidenschaft, Kunst und höherer sensorischer Erregung zu bezwingen. Unsere
gefangenen Keimzellen taten zwar ihr Bestes, doch waren sie machtlos gegenüber der Roheit der Alpha A’s, die, wie wir nun herausfanden, sich selbst stolz als ‚die Parasiten’ bezeichneten. Nachdem sie an unseren Keimzellen eine Reihe von ungeheuerlichen Manipulationen vorgenommen hatten, begannen die Parasiten, Teile der Keimzellen zu klonen. Dies taten sie in der Hoffnung, unser genetisches Material mit ihrem zu verschmelzen, vor allem deshalb, weil wir so aussahen, als wüßten wir etwas, das sie selbst noch nicht wußten.

Natürlich erlebte die nächste Generation von Alpha A’s das Ergebnis der
Machenschaften: eine Art ‚Herrenrasse’, welche in Wahrheit aus misch-erbigen
Ungeheuern bestand. Sobald diese neue Rasse - die Zyklopäer - voll entwickelt war,
geschah wieder etwas Furchtbares. In Form von kannibalistischen Akten wandten sich die Zyklopäer gegen die Parasiten, welche ihren hybriden Abkömmlingen physisch unterlegen waren. Die Macht der Parasiten wurde zusehends geschwächt, bis sie endgültig zusammenbrach. Schließlich wurden die Kontrollzentren der Alpha A’s auf allen vier Planeten von Anarchie und nackter Barbarei heimgesucht. Vorbei waren die Tage des Terrors gegen Alpha B. Aber die Frage lautete: Zu welchem Preis mußte dies erkauft werden?

Als Antwort auf die Ereignisse im Alpha Centauri-System inkarnierten wir zwei Kolonien von Keimzellen jeweils auf dem äußersten Planeten der beiden Sterne Alpha Centauri A und Alpha Centauri B. Diese Kolonien sollten sich den herrschenden Verhältnissen anpassen und sich allmählich mit der Frage befassen, ob eine Verschmelzung der Kulturen zustandekommen könnte, um das gestörte Gleichgewicht dieses Systems wiederherzustellen. Wir wußten gleichsam, daß etwas mit uns geschehen war, was wir bis dahin nicht gekannt hatten. Einige unter uns nannten es den Verlust der Unschuld. Und es wurden zahlreiche starke Balladen und Lieder über diese Ereignisse geschrieben. Andere von uns waren positiver eingestellt und sprachen daher von einer Steigerung unseres Scharfsinns und unserer Genauigkeit.

Doch während unsere interdimensionalen Raum-Zeit-Kokons langsam in den
ausgedehnten Zonen der interstellaren Nacht kreisten, gab es auch noch viele unter uns, die sehr lange und eingehend darüber nachsannen, was wohl in diesem endlosen Geschehen namens Arkturus-Probe aus uns werden würde.