Maká-Schamane Atuka-hé (1997)
Atuka-hé ist ein indianischer Schamane (in Paraguay) und wurde 1997 von Buchautor Ray Nolan befragt.
Atuka-hé: Das Jahr des bleiernen Schlafes
»Nein — ich spüre, was du denkst. Viele sehen das Ende wie du, aber es wird nicht kommen! Nur bleierner Schlaf liegt über der Welt. Grau, matt. Die weißen Menschen sind müde, sie glauben an nichts mehr, oder sie sind verblendet durch andere und glauben das Falsche. Kluge, aber abgestumpfte Menschen. Nur die Jugend ist lebendig und verlacht die Alten. Alles lebt weiter im Grau dahin, im Dämmerschlaf.
Da sind schlimme Wetter und Stürme und Eis. Und Wasser, bevor das erste Grün kommt, viel, viel Wasser. Es stinkt, und ein paar Menschen ertrinken, nicht viele, nur ein paar. Ich glaube es sind Kinder unter ihnen — noch sehr klein. Auch wo die silbernen Vögel, die Flugzeuge der Weißen, vom Himmel stürzen, werden Kinder sterben. Einmal sind es 17.
Mehrere kleine, aber auch drei große Flugzeuge mit vielen Menschen darin, sehe ich herabfallen. Das eine dicht bei der Stadt, nahe einer breiten Autostraße. Da werden die 17 Kinder sterben. Und viele Erwachsene. Einige sind nicht sofort tot, schreien um Hilfe. Sie quälen sich in den Tod, die Armen! Das andere Flugzeug wird zerrissen, wie von einem Blitz getroffen. Viel Feuer, eine der Frauen im Flugzeug trägt einen Verband oder eine helle Schleife am Arm, irgend etwas Weißes aus Stoff, ja, es ist wohl ein Verband — auch sie wird sterben. Sie ist dick. Ziemlich dick, und sie redet viel in der Halle. In der gesunden Hand trägt sie eine schwere blaue Tasche.
Dann, weißer Mann, nähert ihr euch dem Punkt, der euch ärmer macht, als wir es sind. Du wirst es sehen — zwei, drei Mal passiert es im kleinen, dann kommt der Schock. Ich sehe Münzen, die verschmelzen, brennende Geldnoten in den Händen unzähliger Menschen. Es wird wenig wert sein, das Geld, immer weniger, und keiner will sich davon trennen. Das ist merkwürdig. Ihr beweint das Geld und seht die Früchte nicht an den Bäumen! Du siehst, daß ich darüber lache, aber viele werden weinen. Vieles wird anders mit dem Geld, es bleibt euch erhalten, aber es wird ein neuer Anfang gemacht werden, der viele ins Unglück stürzt. Ziemlich anders ... ziemlich anders ... und erst spät im Jahr.
Der gütige Mann mit dem schelmischen Blick und den schönen weißen Kleidern, euer Gottesmann, hustet und wird schwach. Braucht viel Kraft, der Mann. Ihm ist schwindelig im Kopf, aber er sagt es keinem. Jemand müßte ihm die Hand auf die Stirn legen, aber er will das wohl nicht. Er braucht Kraft, wirklich. Ist zu schwach, sich dagegen aufzubäumen. Ich denke, er wird den Kampf verlieren — ist müde. Danach kommt die schwarze Hose — zwei, drei Jahre nur, denn auch er ist gezeichnet. Sein Vater machte die Hosen, glaube ich. Der neue Heilige Mann hat merkwürdige Augenbrauen ...
Wieder sehe ich viel Wasser. Tosendes Wasser, kein stilles. Am Ende des Sommers, dann Feuer und Rauch, nicht weit von einer stürmischen Küste. Alles brennt. Überall ein, zwei Wochen lang brennt es, wo ohnehin nur dürre Bäume wachsen und alles braun ist. Eine Woche vorher oder ein paar Tage davor explodiert ein riesiges Auto weit entfernt, aber dies ist das Zeichen. Dann kommt das lange Feuer.
Wenn der Kirchenmann der Weißen stirbt, bricht vorher eine riesige Mauer.
Zwei andere sterben in der gleichen Jahreszeit. Ich sehe Hunderte hinter einem Sarg gehen und beten und trauern, über den unerwarteten Tod des einen. Er ist dicklich, gut genährt, aber das Gesicht kenne ich nicht. Von einer Woche zur anderen ist er tot. Seine Frau ist kleiner, auch zierlicher. Keine guten Augen hat sie. Wenn es soweit ist, wirst du wissen, von wem ich rede. Ich kenne sie nicht.
Wenn der Bombéro (Luftgeist) über Europa fegt, es ist schon kalt und grau, kommt für viele der bleierne Schlaf. Ich sehe die Menschen stumpf vor sich hinblicken, hilflos, ohnmächtig. Kein Blut oder Krieg, nein, es ist Verzweiflung, die die Weißen erfüllt. Drei Jahre.
Dann kommt ein anderer Bombéro, ebenso mächtig, und der wirbelt alle auf. Es wird Tote geben, aber auch das neue Erwachen. Es blitzt. Ich sehe tausend Blitze in dieser Zeit. Wie wenn das Sonnenlicht auf einen Spiegel fällt. Solche Blitze sind das, nicht die eines Gewitters. Sie sind auch ein Stich in die Herzen der enttäuschten Menschen. Viele haben ihren Glauben an das Gute verloren. Der Bombéro ist kein richtiger Sturm, verstehe ihn als Sog, der die Menschen erfaßt. Ja, ein Sog, der alles herumwirbelt und neues schafft. Was du eben sagtest, weißer Mann, wird aber nicht kommen. Ich sehe keinen Feuerball vom Himmel fallen, keine Länder im Meer versinken. Aber viel Leid und Enttäuschung. Arme Leute, wo sie warme Mützen tragen aus Fell.
Wenn die letzte reife Zitrone in meinem Garten vom Baum fällt (etwa Oktober in Paraguay), beginnt es in Europa. Keine schöne Zeit, sicher nicht, aber keine Feuerkugel, die vom Himmel stürzt. Man spricht viel über den Tod eines Mannes in dieser Zeit. Dann kommen die drei mageren Jahre für die Weißen.
Ich sehe keine Bilder mehr — weißer Mann. Willst du das wirklich alles in ein Buch schreiben?«
Atuka-hé lächelt müde. Dann richtet er sich etwas auf und sieht zu seinen Enkeln, die ein paar Meter weiter im Schatten eines Mangobaumes im Sand spielen ...
Quelle: wiki.panpagan.com