Heute habe ich einen guten Freund getroffen. „Hey, du siehst ja schrecklich aus,“ sage ich zu ihm, „was ist denn los?“ „O, sieht man es so sehr?“ Er erzählt mir, dass er in den letzten Tagen mehrere dieser Filme gesehen hat, in denen aufgedeckt wird, was alles mit den offiziellen Darstellungen des elften September nicht stimmen kann, wer hinter den Finanzkrisen steckt, und überhaupt, wie die Machtverhältnisse auf der Welt so verteilt sind, wo überall Handymasten versteckt und Kameras aufgestellt werden ... irgendwie konnte er plötzlich gar nicht mehr aufhören, und hat sie sich alle reingezogen. Und jetzt fühlt er sich wie von einem Bulldozer überfahren. Er leidet quasi unter einer Überdosis Wahrheit.
Das kenne ich gut, ich habe auch schon einige dieser Filme gesehen. Sie sprechen von Wahrheiten, die ich wichtig zu wissen finde. Gleichzeitig kommt mit jedem dieser Filme eine so gehörige Portion kollektiver Angst rüber, dass eine Überdosis davon einen ganz schön reinreißen kann. Denn mit diesen ganzen Aufdeckungen geht ja zwangsläufig die Botschaft einher: „Leute, seht her, wacht auf, der Feind sitzt gar nicht außen, er sitzt innen, und gegen den ist kein Kraut gewachsen! Keine Regierung, kein Geheimdienst wird euch vor sich selber schützen, und ohnehin stecken sie alle unter einer Decke ...“ Das haut rein, selbst wenn man es im Prinzip schon wusste. Wenn man es zum ersten Mal hört, um so mehr.
Die Wahrheit wird uns befreien – Ja, aber diese Filme und Videos transportieren mit der Wahrheit soviel Angst, dass sie eine heilsame Wirkung nur dann haben, wenn wir sie bewusst und dosiert zu uns nehmen. Manchmal finde ich es verführerisch, es noch mal und noch mal zu sehen, in immer wieder neuen Variationen. Es ist einfach so unglaublich und haarsträubend, dass es die Sensationslust in mir anspricht. Außerdem weiß ich dann, auf wen ich wirklich wütend sein kann. Na ja, okay, zumindest zuerst – leider erinnere ich mich dann daran, dass ich selbst für alles mitverantwortlich bin, was mir begegnet, also auch für diese himmelschreiende Scheiße. Das ernüchtert und erdet.
Und wenn ich mir aus Sensationslust eine Überdosis Wahrheit reinziehe, geht es mir danach echt schlecht. Besser, nach einem solchen Film mit wirklich guten Freunden zusammen zu sein, in die Natur zu gehen, wo sie noch heil ist, den Wind zu spüren, die Sonne ... Erde unter meinen Füßen ... Musik zu hören, die nährt, Bücher oder Filme zu mir zu nehmen über Menschen, die Zivilcourage gezeigt und überlebt haben – eben Seelennahrung und Ermutigung. Und bis zum nächsten Film erst mal ein wenig warten. Sonst hat die Angst zu leichtes Spiel mit mir, und die Wahrheit hinterlässt keine heilsame, befreiende Spur in meinem Leben, sondern nur ein lähmendes Gefühl der Ohnmacht.
Und besser auch, die Verzweiflung zu entdecken.
Joanna Macy, eine Umweltaktivistin, hat eine Zeit lang „Verzweiflungsarbeit“ gemacht. Sie fand heraus, dass das Ausmaß der Umweltzerstörung und die Unmöglichkeit, wirklich umfassend etwas dagegen zu tun, dazu neigt, uns zu lähmen. Dass aber unter der Lähmung in Wahrheit eine tiefe Verzweiflung steckt, die wir uns nicht einmal getrauen zu fühlen, denn wir fürchten in ihr unterzugehen. Dabei hat sich gezeigt, dass wir in Lähmung verfallen, wenn wir die Verzweiflung unterdrücken und paradoxerweise wieder neue Kraft finden, wenn wir sie, also die Verzweiflung, erlauben.
Aber wenn wir unsere Verzweiflung wagen und uns vor einer Überdosis Wahrheit schützen, dann wird die Wahrheit über kurz oder lang ihre befreiende Kraft entfalten.