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Energiereiche Elektronen aus unbekannter Quelle nahe dem Sonnensystem

Dass die Erde kontinuierlich von kosmischen Strahlen bombardiert wird, ist nicht Neues. Jetzt aber haben Wissenschaftler einen rätselhaften zusätzlichen Einstrom von energiereichen Elektronen gemessen. Die Quelle dieser kosmischen Strahlung ist noch unbekannt, wie Astronomen in der aktuellen „Nature“-Ausgabe berichten. Sie wird aber in der Nähe des Sonnensystems vermutet. Möglicherweise besteht sie aus Dunkler Materie.

Kosmische Strahlung (Illustration)
Kosmische Strahlung (Illustration)
© Simon Swordy/ University of Chicago Kosmische Strahlung (Illustration)
Die galaktische Hintergrundstrahlung besteht aus subatomaren Teilchen, die durch Supernovae oder andere explosive kosmische Ereignisse fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Sie rasen durch die Milchstraße und bilden einen Schleier energiereicher Partikel, die das Sonnensystem aus allen Richtungen erreichen. Typischerweise enthält der hochenergetische Teilchenmix hauptsächlich Protonen und schwerere Atomkerne mit einem geringen Anteil von Elektronen und Photonen als Abrundung.

Seltsamer Überschuss an energiereichen Elektronen
Jetzt allerdings haben Wissenschaftler um John Wefel von der Louisiana State University einen ungewöhnlichen Peak in diesem „komischen Rauschen“ entdeckt. Sie nutzten für ihre Studien einen Strahlendetektor der NASA, den Advanced Thin Ionization Calorimeter (ATIC), der mit Stratosphärenballons über der Antarktis in die obere Atmosphäre befördert wurde. Die Forscher erwarteten auch bei diesen Messungen den üblichen Mix aus Teilchen, doch das Calorimeter stieß auf etwas anderes: einen Überschuss an energiereichen Elektronen. 70 Elektronen im Energiebereich von 300 bis 800 Gigaelektronenvolt registrierte das Gerät innerhalb von fünf Wochen, was zwar nicht viel klingt, aber in diesem Bereich extrem ungewöhnlich ist.


Elektronen-Messergebnis des ATIC-Instruments
Elektronen-Messergebnis des ATIC-Instruments
© Nature/ J. Chang et al. Elektronen-Messergebnis des ATIC-Instruments
„Das ist eine große Entdeckung. Es ist das erste Mal dass wir eine diskrete Quelle von beschleunigter kosmischer Strahlung sehen, die aus dem allgemeinen galaktischen Hintergrund heraussticht“, erklärt Wefel. Er vergleicht die Entdeckung mit einer Fahrt auf der Autobahn, umgeben von normalen Kleinwagen und Lastern, bei der plötzlich eine Gruppe von Lamborghinis durch den normalen Verkehr bricht. „Man erwartet es nicht, so viele Sportwagen auf der Straße zu sehen - und auch nicht so viele energiereiche Elektronen in der Mischung der normalen kosmischen Strahlen.“

Quelle liegt nahe dem Sonnensystem
„Die Quelle dieser Elektronen muss relativ nahe am Sonnensystem liegen – nicht mehr als ein Kiloparsec entfernt”, so Jim Adams, Koautor der Studie vom Marshall Space Flight Center der NASA. Ein Kiloparsec entspricht etwa 3.260 Lichtjahren. „Energiereiche Elektronen verlieren ihre Energie sehr schnell, wenn sie durch die Galaxie fliegen. Ersten verlieren sie Energie, wenn sie mit Photonen geringer Energie kollidieren, das ist die so genannte inverse Compton Streuung. Und zweitens strahlen sie einen Teil ihrer Energie ab, wenn sie durch das Magnetfeld der Galaxie rasen.“ Finden sich energiereiche Elektronen in der Messung, müssen sie daher lokalen Ursprungs sein, möglicherweise wenige hundert Lichtjahre entfernt.

Kollisionen Dunkler Materie als Ursache?
Was aber ist die Quelle dieser Strahlung? Das ist bisher absolut unklar. Die naheliegendsten Erklärungen umfassen einen nahegelegenen Pulsar, einen Mikroquasar oder ein Schwarzes Loch – theoretisch können alle diese Objekte Elektronen bis auf hohe Energien beschleunigen. Eine weitaus faszinierendere Möglichkeit ist nach Ansicht der Astrophysiker jedoch Dunkle Materie.

Nach einer physikalischen Theorie, der so genannte „Kaluza-Klein“-Theorie könnten die Grundbausteine der Dunklen Materie sich in Extra-Dimensionen des Raums verbergen und damit im Normalfall für uns unsichtbar sein. Nur über ihre Anziehungskraft nehmen wir die Dunkle Materie überhaupt wahr. Nach der Theorie gibt es auch zu jedem Teilchen der Dunklen Materie ein entsprechendes Antiteilchen. Wenn beide Partikeltypen kollidieren, löschen sie sich gegenseitig aus und setzen Energie in Form von energiereichen Photonen und Elektronen frei. Letztere materialisieren sich in den drei Dimensionen des von uns erfassbaren Raums und erscheinen damit als kosmische Strahlen.

Hypothetisches Teilchen hätte die passende Energie
„Unsere Ergebnisse wären durch einen Klumpen oder eine Wolke von Dunkler Materie erklärbar, die sich in der Nachbarschaft des Sonnensystems befindet“, erklärt Wefel. „Konkreter gesagt gibt es ein hypothetisches Kaluza-Klein-Teilchen mit einer Masse nahe 620 Gigaelektronenvolt, das, wenn es ausgelöscht wird, Elektronen in dem gleichen Energiebereich erzeugen sollte, wie wir sie beobachtet haben.“

Diese Hypothese zu testen ist allerdings alles andere als einfach, denn die Dunkle Materie ist, wie ihr Name es schon sagt, extrem schwer nachzuweisen. Möglicherweise könnten neue Teleskope wie das Fermi Weltraumteleskop der NASA nach Gammastrahlen und anderen Produkten dieses Auslöschungsereignisses suchen. „Was auch immer es ist“, so Adams, „es ist auf jeden Fall absolut erstaunlich.“