Ulrich Bleil* und Tilo von Dobeneck*
Die am Magnetfeld der Erde orientierte Bewegung von Organismen ist ein in der Natur weit verbreitetes Phänomen. Insekten, Vögel, Fische und auch Säugetiere, ja selbst Bakterien (Abb. 1) nutzen das erdmagnetische Feld, um zielgerichtet ihren Standort zu wechseln. Dem Menschen fehlt diese Fähigkeit‚ möglicherweise ist sie auch nur im Laufe der Evolution verkümmert, denn im menschlichen Gehirn finden sich Relikte potentieller magnetischer Sensoren. Ohne ein solches Sinnesorgan für Magnetfelder war die Entwicklung des Kompasses als Navigationsinstrument eine der bemerkenswertesten intellektuellen Leistungen früher Wissenschaft. Sie wird den Chinesen (wahrscheinlich um 2000 v. Chr.) zugeschrieben, die Kompasse zur Ausrichtung von Gebäuden und für Reisen über Land (Abb. 2), später auch auf Schiffen verwendeten. Anfang des 14. Jahrhunderts gelangte diese Praxis über den Orient nach Europa und wurde zu einer der wichtigsten Grundlagen, die es portugiesischen, spanischen und dann auch englischen und anderen Seefahrern ermöglichte, unsere heutige Welt zu entdecken.
Abb. 1: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines magnetotaktischen Bakteriums. In Ketten angeordnete Magnetitkristalle (Magnetosome) dienen der Orientierung im erdmagnetischen Feld. Das abgebildete Bakterium steht unmittelbar vor der Zellteilung, alle ‘Organe‘, so auch die Magnetosomkette, sind bereits doppelt ausgebildet. Foto: T. von Dobeneck.
Dass es für Tiere und Menschen vorteilhaft ist, sich bei der Fortbewegung am Magnetfeld der Erde zu orientieren, beruht vornehmlich auf dessen hoher Symmetrie. Sie entspricht in ihrer Grundstruktur der einfachsten möglichen Geometrie, einem so genannten Dipolfeld, wie es einem Stabmagneten eigen ist. Eine Reihe elementarer Erkenntnisse dazu geht auf William Gilbert zurück. Seine 1600 in London veröffentlichte Schrift ‘De Magnete, Magneticisque Corporibus, Et De Magno Magnete Tellure‘ (Über den Magneten, magnetische Körper und den großen Magneten Erde) bildet einen epochalen Meilenstein der wissenschaftlichen Weltliteratur.
Zunächst eher auf die praktischen Bedürfnisse von Seefahrernationen gerichtet waren dagegen Messungen von zeitlichen Änderungen der Magnetfeldrichtung in Observatorien, die um diese Zeit in England und Frankreich ihre Anfänge haben. Dies gilt auch für großräumige Kartierungen der Differenz zwischen magnetischer und geographischer Nordrichtung, der Missweisung oder Deklination. Die wohl bekannteste stammt von Edmund Halley - nach dem auch der berühmte Komet benannt ist. Sie wurde 1700 veröffentlicht und umfasst den gesamten Atlantik zwischen 60° nördlicher und südlicher Breite (Abb. 3).
Neben dem unmittelbaren Anwendungsbezug fanden der Erdmagnetismus und allgemein magnetische Phänomene schon immer reges Interesse bei Naturforschern, aber auch in Alchimistenkreisen, weshalb ihnen bis heute vielfach etwas nahezu Okkultes anhaftet.
Abb. 2: Chinesischer Kompasswagen. Die bewegliche Figur trägt im ausgestreckten Arm eine Magnetstange und zeigt damit die Südrichtung an (Darstellung aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., Bibliothèque Nationale, Paris).
Quellen des Erdmagnetfeldes
Außerordentliche Fortschritte, sowohl hinsichtlich verbesserter Messverfahren als auch einer neuen revolutionären Strategie das Erdmagnetfeld mathematisch zu beschreiben, verdanken wir Carl Friederich Gauß. Ihm gelang Anfang des 19. Jahrhunderts der Nachweis, dass sich im geomagnetischen Feld Beiträge von Quellen im Inneren der Erde und solchen aus ihrem Außenraum überlagern. Er ging von der Annahme aus, das nach Richtung und Stärke variable magnetische Vektorfeld lasse sich durch ein skalares Potential darstellen, und entwickelte dieses nach Kugelfunktionen aus zu jener Zeit noch sehr spärlich verfügbaren Messdaten.
Sein Ergebnis, der weit überwiegende Teil des Magnetfeldes resultiere aus dem Erdinneren und äußere Komponenten seien demgegenüber zu vernachlässigen, musste deshalb qualitativ bleiben. Heute wissen wir, dass sich das geomagnetische Feld aus ganz unterschiedlichen Quellen zusammensetzt. Jede von ihnen ist durch spezifische, räumlich und zeitlich variable Prozesse in ihrer Ursprungsregion charakterisiert. Bis zu diesen Erkenntnissen hat es vieler Jahrzehnte intensiver geophysikalischer Forschung bedurft und noch immer bleiben zahlreiche Fragen offen.
Abb. 3: Frühe Karte der magnetischen Deklination (Missweisung, Differenz zwischen der magnetischen und geographischen Nordrichtung) im Atlantischen Ozean zwischen 60° nördlicher und südlicher Breite (Halley, 1700).
Innenfeld
Das Innenfeld zu verstehen setzte zunächst voraus, Aufbau und Struktur des Erdkörpers näher zu kennen. Hier waren es vor allem seismologische Forschungen, die in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts bahnbrechende neue Erkenntnisse erzielten. Seit 1909 ist die nach ihrem kroatischen Entdecker benannte Mohorovičić-Diskontinuität bekannt, der Übergang zwischen Erdkruste und Erdmantel in etwa 10 km unter den Ozeanen und 30 bis 40 km unter den Kontinenten. Vier Jahre später identifizierte der Deutsche Beno Gutenberg die Kern/ Mantel-Grenze in rund 2.900 km Tiefe, und 1926 erkannte der englische Geophysiker Harold Jeffreys, dass der Erdkern ganz überwiegend aus flüssigem Eisen besteht. Allerdings nur sein äußeres Segment, während der innere Erdkern fest ist, wie die dänische Seismologin Inge Lehmann 1936 nachwies.
Auf dieser Basis sind unterschiedliche, physikalisch mehr oder minder plausible Ursachen für das erdmagnetische Innenfeld erwogen worden, bis der flüssige äußere Erdkern als Quellregion allgemein akzeptiert war. Dort ablaufende elektrodynamische, hydrodynamische und thermodynamische Prozesse lassen sich mathematisch mit einem sehr komplexen System partieller Differentialgleichungen beschreiben. Aus der Umwandlung von thermischer in mechanische und dann magnetische Energie resultiert der so genannte Geodynamo. Das primäre Phänomen sind Konvektionsströme, angetrieben durch die Wärmeenergie des immer weiter konsolidierenden inneren Kerns. Ihre Bahngeometrie wird entscheidend durch die Erdrotation strukturiert. Dabei spielen insbesondere Corioliskräfte eine wichtige Rolle. Die Symmetrieachse des Geodynamofeldes fällt deshalb im Mittel über Zeiträume von mehreren tausend Jahren mit der Rotationsachse der Erde zusammen, wie durch paläomagnetische Messungen nachgewiesen wurde, auf die noch näher eingegangen wird. Vor kurzem konnten mit Supercomputern erstmals dreidimensionale numerische Simulationen des Geodynamos realisiert werden. Obwohl es bislang noch nicht möglich war, einzelne kritische Modellparameter mit der physikalischen Realität des Erdkerns hinreichend in Einklang zu bringen, geben die Ergebnisse dennoch die wichtigsten Charakteristika des Erdmagnetfeldes, so etwa seine Stärke, Variabilität und dominierenden Dipolcharakter, eindrucksvoll wieder (Abb. 4).
Abb. 4: Dreidimensionale numerische Simulation des geoma¬gnetischen Feldes im Raum von etwa zwei Erdradien. Entsprechend der heutigen Feldkonfiguration sind blaue Feldlinien nach innen, orange nach außen gerichtet. Dort wo ihre Geometrie zunehmend ungeordnet erscheint, ist annähernd die Kern/Mantel-Grenze erreicht. http://www.psc.edu/science/Glatzmaier/glatzmaier.html.
Das Innenfeld aus allen Quellen im Erdkörper hat eine Stärke von etwa 60.000 nT (Nanotesla) an den Polen und um 30.000 nT in der Äquatorregion (Abb. 5a). Die Erde ist demnach ein Magnet von sehr beträchtlicher Intensität. Zum an der Erdoberfläche gemessenen Feld trägt das Geodynamo- oder Hauptfeld rund 95% bei, etwa 80% davon entfallen auf Dipolanteile. Magnetisierungen der Erdkruste sind bis in Tiefen von 20 bis 30 km, also Temperaturen von annähernd 600 °C relevant. Bei magmatischen, insbesondere vulkanischen Gesteinsformationen ergeben sich aufgrund erhöhter Konzentrationen magnetischer Minerale zusätzliche positive Feldanteile. Sie können indessen auch negativ sein, etwa in weiten Teilen der ozeanischen Kruste, wo fossile, so genannte remanente Magnetisierungen überwiegen, die während der erdgeschichtlichen Vergangenheit gebildet wurden.
Das Erdmagnetfeld unterliegt nach Richtung und Stärke einem stetigen Wandel, wie schon im 16. Jahrhundert insbesondere aus Beobachtungen der Deklination (engl. variation, Abb. 3) bekannt war. Im Periodenbereich von einigen Jahren bis zu mehreren Jahrhunderten werden diese zeitlichen und räumlichen Änderungen als Säkularvariation bezeichnet. Sie spiegeln die ausgeprägte Dynamik der Geodynamoprozesse im äußeren Erdkern wider. Nicht zuletzt um in der Praxis solchen Variationen Rechnung tragen zu können, publiziert die International Association of Geomagnetism and Aeronomy (http://www.ngdc.noaa.gov/IAGA) alle fünf Jahre ein aktuelles globales Referenzmodell des Erdmagnetfeldes. Dieses International Geomagnetic Reference Field (IGRF, Abb. 5) basiert auf der Gaußschen Analyse nach Kugelfunktionen von Messreihen erdmagnetischer Observatorien und heute in erster Linie auf Satellitendaten. Ein auffälliges Phänomen ist die beständige Abschwächung des globalen Dipolmomentes während der vergangenen etwa 200 Jahre. Über diesen Zeitraum, für den hinreichend genaue direkte Beobachtungen vorliegen, hat sich die Intensität des Dipolfeldes um nahezu 10% verringert. Hieraus zu schließen, die Erde verliere ihr Magnetfeld in wenigen tausend Jahren, wäre nach Stand der Forschung reine Spekulation. Sorgfältige Trendanalysen des IGRF ermöglichen zuverlässige Voraussagen über Änderungen des geomagnetischen Feldes nur über wenige Jahre. Danach nimmt die Feldstärke derzeit durchaus nicht überall auf der Erde ab (Abb. 5b).
Abb. 5: (a, oben) Intensität des erdmagnetischen Feldes an der Erdoberfläche (IGRF 1995, Isolinienabstand 2.500 Nano¬tesla). In erster Näherung entspricht das heutige Feld einem geozentrischen, um etwa 11° gegen die Rotationsachse geneigten Dipol, dessen geomagnetische Pole im nördlichen Kanada und südlich von Australien liegen. Markante Abweichungen von dieser Geometrie bilden ein Maximum über Sibirien und ein ausgedehntes Mini¬mum im Raum Südamerika / Südatlantik. (b, unten) Jährliche Änderungen der Intensität des erdmagnetischen Feldes an der Erdoberfläche bezogen auf das IGRF 1995 (Isolinienabstand 5 Nanotesla/Jahr). Für weitere Informationen siehe zum Beispiel: http://geomag.usgs.gov.
Außenfeld
Elektrische Stromsysteme sind die Quellen von Beiträgen aus dem Außenraum der Erde zum geomagnetischen Feld. Charakteristikum dieser externen Anteile sind ihre schnellen Ände¬rungen. Erste Hinweise auf die Ursachen hierfür gaben Beobachtungen im 18. Jahrhundert, dass solche kurzperiodischen magnetischen Variationen mit der Polarlichtaktivität korrelieren. Beide Phänomene haben ihren Ursprung in Vorgängen und Ereignissen auf der Sonne. Sie emittiert kontinuierlich sowohl eine elektromagnetische Wellenstrahlung - ein schmales Frequenzband davon ist das sichtbare Licht - als auch eine Partikelstrahlung, überwiegend Elektronen und Protonen (‘Sonnenwind‘). Sie wechselwirken mit dem erdmagnetischen Innenfeld. Die Feldlinien werden auf der Tagseite stark verdichtet und expandieren auf der Nachtseite weit in den Weltraum. Daraus und anderen an die Erdrotation gebundenen Einflüssen resultiert ein typischer Tagesgang des Außenfeldes mit Amplituden von mehreren 10er nT. Alle Veränderungen des Sonnenwindes äußern sich in Variationen des Außenfeldes, so auch die 27-tägige Rotationsperiode der Sonne und der 11-jährige Sonnenfleckenzyklus. Besonders intensive Eruptionen auf der Sonne haben so genannte magnetische Stürme zur Folge, die typischerweise einige Tage andauern. Sie erreichen in hohen Breiten Amplituden bis zu einem Zehntel des Innenfeldes und bedingen kurzzeitige Änderungen der Deklination von über 10°.
Immer wieder führen magnetische Stürme weltweit, namentlich aber in hohen Breiten zu starken Beeinträchtigungen der drahtlosen und netzgebundenen Kommunikationssysteme in nahezu allen Frequenzbereichen. Auch das Global Positioning System (GPS) verliert dann drastisch an Genauigkeit. Die schnellen Feldänderungen induzieren starke elektrische Ströme in langen Telefon-, Hochspannungs- und Erdölleitungen, die zu Schäden in Milliardenhöhe geführt haben. Dass heute ein tägliches Weltraumwetter und auch Vorhersagen verfügbar sind, die Sonnen- und Magnetfeldaktivitäten erfassen (‘Space Weather‘, http://www.ngdc.noaa.gov), ist deshalb nur zu verständlich.
Aus den zyklischen und episodischen Variationen des Außenfeldes ergeben sich auch Induktionseffekte im Erdkörper selbst. Mit den Methoden der magnetotellurischen Tiefensondierung werden sie erfolgreich genutzt, um elektrische Leitfähigkeitsstrukturen bis in große Tiefen des Erdmantels zu bestimmen.
Magnetischer Schutzschild
Die Erde ist ständig der kosmischen Strahlung ausgesetzt, ein wesentlich energiereicherer Partikelstrom als der zuvor diskutierte, erdmagnetische Variationen bewirkende Sonnenwind. Aufgrund elektromagnetischer Wechselwirkungen bildet das Erdmagnetfeld einen sehr effek¬tiven Schutz gegen diese für biologisches Leben letale Bedrohung. Darüber hinaus ist die Erde von mehreren konzentrischen Strahlungsgürteln umgeben, in denen hochenergetische, ionisierte Materie durch das Erdmagnetfeld wie in Speicherringen eingeschlossen ist. So bewegen sich im so genannten harten Strahlungsgürtel um die Äquatorregion vorwiegend sehr energiereiche Protonen entlang der Feldlinien zwischen den Hemisphären hin und her. Abhängig von der Feldstärke nähern sie sich der Erde am nördlichen und südlichen Wendepunkt (Spiegelpunkte) zumeist bis in Höhen um 600 km. Im Raum Südamerika / Südatlantik erreicht die Feldstärke derzeit nur etwa 60% einer symmetrischen Dipolgeometrie (Abb. 5a). Dadurch sinken die Spiegelpunkte dort auf wenige 100 km ab und Satelliten auf erdnahen Umlaufbahnen sind akut der harten Strahlung ausgesetzt. Auf einem polaren Orbit ergeben sich daraus etwa 90% der gesamten Strahlendosis.
Starke magnetische Stürme komprimieren das Magnetfeld bis in die Umlaufbahnen geostationärer Satelliten, die dann direkt von Sonnenwind und kosmischer Strahlung erreicht werden. Wegen der fortschreitenden Miniaturisierung aller elektronischen Bordsysteme ist auch dies ein wachsendes Problem. Durch die intensivierte Emission von solarer UV-Strahlung während magnetischer Stürme erwärmt sich die obere Atmosphäre und dehnt sich aus. Bis in etwa 1.000 km Höhe steigt die Dichte dabei deutlich an. Satelliten in erdnahem Orbit werden dadurch stärker abgebremst, ihre Bahngeometrien deformiert.
Messungen
Lange Zeit beschränkten sich regelmäßige Beobachtungen des Erdmagnetfeldes in Observatorien vorwiegend auf die Bestimmung der Deklination, weil sie von unmittelbar praktischer Bedeutung für die Seefahrt war. Erst mit dem wachsenden wissenschaftlichen Interesse an Fragen des Erdmagnetismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden systematische Aufzeichnungen detaillierterer Messreihen begonnen. An diesen Entwicklungen hatte Deutschland maßgeblichen Anteil, namentlich der Göttinger Magnetische Verein mit Gauß, Humboldt und Wilhelm Eduard Weber als den führenden Initiatoren. Die von ihnen konzipierten Mess- und Eichmethoden wurden weltweit übernommen und blieben weit über 100 Jahre anerkannter Standard. Das erste 1838 aus solchen Daten entwickelte globale Magnetfeldmodell war die Grundlage für das zuvor skizzierte neue und bis heute gültige geomagnetische Weltbild. Gegenwärtig sind in Deutschland noch drei erdmagnetische Observatorien in Betrieb, Fürstenfeldbruck, das die durch Johann von Lamont vor mehr als 150 Jahren begonnene bayrische Tradition fortführt, sowie Niemegk und Wingst.
Mit dem Einzug moderner Messtechniken in den Observatorien konnten zwar verschiedene methodische Einzelheiten verbessert werden, weitere grundlegende Fortschritte waren auf diesem Wege aber nicht mehr zu erzielen. Sowohl bedingt durch die sehr ungleichmäßige geographische Verteilung von Land und Meer über die Hemisphären, häufig aber auch wegen fehlender ökonomischer Voraussetzungen ist das internationale Netz magnetischer Observatorien (http://www.intermagnet.org) in vielen Teilen der Welt nur sehr weitmaschig. Die mittleren Abstände der Messpunkte sind indessen ausschlaggebend für die Genauigkeit und räumliche Auflösung, mit der sich Potentialfelder, neben dem magnetischen also auch das Gravitationsfeld der Erde, im globalen Maßstab theoretisch erfassen lassen.
Die Raumfahrt eröffnete in dieser Hinsicht dann völlig neue Möglichkeiten. Sonden zahlreicher Missionen zu den Planeten des Sonnensystems hatten Magnetometer an Bord, die Daten über ihre bis dahin nahezu unbekannten Magnetfelder lieferten. Der amerikanische ‘Magsat‘-Satellit führte 1979/80 erstmals eine genaue Vermessung des gesamten Erdmagnetfeldes durch. Mit dieser Bestimmung war später unter anderen die dänische ‘Ørsted‘-Sonde (benannt nach dem Physiker Hans Christian Ørsted, einem der Begründer des Elektromagnetismus) und ist zur Zeit der deutsche ‘CHAMP‘ (CHAllenging Minisatellite Payload, Abb. 6) im Orbit. Primäre Zielsetzungen der CHAMP-Mission unter Federführung des GeoForschungsZentrums Potsdam sind Untersuchungen des Magnetfeldes und des Schwerefeldes der Erde sowie ihrer Atmosphäre (siehe http://www.gfz-potsdam.de für ausführliche und aktuelle Informationen).
Abb. 6: Der Satellit CHAMP. Um Einflüsse durch elektrische Ströme und das Eigenfeld des Satelliten zu minimieren, sind die Magnetfeldmessinstrumente, ein skalares Overhauser-Magnetometer und ein dreikomponentiges Fluxgate-Magnetometer, zusammen mit den Sterndetektoren auf einem 4 m langen Ausleger angebracht. Quelle: Astrium.
Die wissenschaftliche Konzeption eines solch ambitionierten Programms, die Auswahl der apparativen Komponenten und insbesondere der Bahngeometrie des Satelliten ist nicht ohne Kompromisse realisierbar. So sind für eine optimale Auflösung der Potentialfeldmessungen in Raum und Zeit möglichst erdnahe Umlaufbahnen zu fordern. Durch die größere Atmosphärenreibung verkürzt sich dort jedoch die Lebensdauer. CHAMP, der am 15. Juli 2000 auf eine Anfangshöhe von rund 450 km in einen nahezu kreisförmigen, polnahen Orbit startete, sollte etwa 5 Jahre lang Daten liefern und sich über diesen Zeitraum der Erde auf weniger als 250 km genähert haben. Bei den Planungen waren nicht zuletzt die bereits angesprochenen Einflüsse einer Periode verstärkter solarer Aktivität zu berücksichtigen, die 2000/2001 mit einem Sonnenfleckenmaximum erreicht wurde. Zur Bestimmung des Magnetfeldes sind zwei Instrumente im Einsatz. Das die Feldstärke nach dem Prinzip der Kernspinresonanz absolut messende Overhauser-Magnetometer dient gleichzeitig als Eichnormal für ein auf Raumsonden vielfach bewährtes Fluxgate-Vektormagnetometer, das die Feldanteile in drei Raumrichtungen erfasst. Die Messbereiche beider Geräte von jeweils ± 65 Nanotesla decken die gesamte Variationsbreite des Feldes in der Umlaufbahn mit einer Auflösung von rund 50 Picotesla (50•10-12 Tesla) ab. Um diese hochgenauen Datensätze adäquat nutzen zu können, müssen die Raumlage der Magnetometer mittels Sternsensoren und der Zeitpunkt jeder Messungen über den GPS-Code entsprechend exakt bestimmt werden. Gerade mit dieser Kombination von Geräten wurden gegenüber früheren Kampagnen deutlich verbesserte Ergebnisse erwartet, eine Hoffnung, die sich nach dem sehr erfolgreichen Verlauf der CHAMP-Mission unbedingt erfüllt hat.
Planetare Felder
Daten über die Magnetfelder der übrigen Planeten unseres Sonnensystems, teils auch über die ihrer Monde, sind durch Messungen mit Raumsonden gewonnen worden. Von den inneren Planeten besitzt die Venus kein Magnetfeld, das des Merkurs hat nur etwa 1% der Stärke des erdmagnetischen Feldes. Schwache regionale Felder des Mars werden als Relikte eines vormaligen Magnetfeldes von planetarer Dimension interpretiert, dessen potentielle Existenz von außerordentlicher Bedeutung wäre für seine interne Struktur sowie die Entwicklung einer Atmosphäre und damit auch für die Möglichkeit früheren biologischen Lebens auf unserem Nachbarplaneten. Ähnlich hat auch der Erdmond heute kein Magnetfeld. Nach Analysen von Mondgestein existierte in der Frühzeit bis vor etwa 3,2 Milliarden Jahre ein solches lunares Feld. Es ist wahrscheinlich, dass danach Dynamoprozesse aussetzten, weil der Mondkern schon weitgehend erkaltet war.
Alle äußeren Planeten haben, soweit Messdaten vorliegen (sie fehlen noch für Pluto), markante Magnetfelder. Das des Jupiters ist wesentlich stärker als das Erdfeld und bindet im Außenraum einen dichten, hochenergetischen Partikelstrom vergleichbar dem irdischen Van- Allen-Gürtel, jedoch ungleich intensiver, so dass er eine konkrete Gefahr für Raumfahrzeuge darstellt. Das Uranus-Feld ist gegenüber der Rotationsachse um fast 60 Grad geneigt und zudem nicht auf die Mitte des Planeten zentriert. Ähnlich ausgeprägte Unterschiede in den Symmetrieeigenschaften gegenüber dem Erdmagnetfeld weist das Feld des Neptuns auf. In beiden Fällen werden deshalb andere, wahrscheinlich weniger tief liegende Quellstrukturen vermutet.
Paläomagnetismus
Mit den Methoden der Seismologie, Gravimetrie, Geoelektrik oder Geothermik lassen sich keine oder kaum differenzierte Aussagen über physikalische Zustände und Entwicklungen des Erdkörpers in der Vergangenheit gewinnen. Zu den meisten seiner früheren Kraft- und Energiefelder ist deshalb wenig Konkretes bekannt. Das Erdmagnetfeld bildet in dieser Hinsicht eine wichtige Ausnahme. Bereits im 16. Jahrhundert war beobachtet worden, dass einzelne Gesteinsformationen die Kompassrichtung stark beeinflussen. Unter anderen hat sich später Alexander von Humboldt eingehender mit diesem Phänomen befasst. Etwa seit Anfang des letzten Jahrhunderts wurden dann systematische gesteinsmagnetische Studien durchgeführt. Als Erster berichtete der französische Physiker Antoine Brunhes 1906 über vulkanische Laven, deren Magnetisierung der Richtung des örtlichen Magnetfeldes entgegengesetzt war und diskutierte die Möglichkeit von Polaritätswechseln des geomagnetischen Feldes. Diese Hypothese fand lange Zeit wenig Beachtung oder wurde, gerade auch in Deutschland, abgelehnt. Dies änderte sich erst ab den 1950er Jahren, als aus Analysen der Magnetisierung von Gesteinen sukzessive eine Reihe spektakulärer Ergebnisse gewonnen wurde. Dabei konnten mit paläomagnetischen Daten kontinentaler Gesteine und vor allem der darauf basierenden Interpretation von magnetischen Strukturen in der ozeanischen Kruste die quantitativen Grundlagen für das Konzept der Plattentektonik geschaffen werden, das unsere geowissenschaftliche Weltsicht fundamental revolutioniert hat.
Wenn wir heute ein detailliertes Bild der globalen Konfiguration von Kontinenten und Ozeanen vor Millionen Jahren entwerfen können, liegt dem immer die Prämisse zugrunde, das erdmagnetische Feld habe sich in der Grundstruktur und damit seinen geodynamischen Ursprüngen seit der Frühzeit unseres Planeten nicht mehr geändert. Diese Kernaussage der Paläomagnetik basiert auf dem Befund, dass alle Gesteine eine natürliche remanente Magnetisierung (NRM) besitzen, in der ein Abbild des geomagnetischen Feldes der Vergangenheit fossil erhalten, quasi eingefroren ist. Zumeist nur sehr geringe Konzentrationen magnetischer Minerale sind die Träger der NRM. Sie wird hauptsächlich bei der Abkühlung magmatischer Gesteine als thermoremanente Magnetisierung oder durch Ausrichtung magnetischer Komponenten bei der Sedimentation gebildet und speichert dabei die Richtung und unter bestimmten günstigen Voraussetzungen auch die Intensität des Erdmagnetfeldes am Ort und zum Zeitpunkt ihrer Entstehung. Viele natürliche Magnetominerale, in erster Linie Eisenoxide, aber auch Eisensulfide, zeichnen sich durch besonders hohe magnetische Stabilität aus, so dass eine NRM über hunderte von Millionen Jahren erhalten bleiben kann. In vieler Hinsicht haben die magnetischen Mineralinventare in Gesteinen große Ähnlichkeit mit den Informationsträgern moderner Speichermedien wie Disketten, Festplatten oder Videobänder. Aufgrund ihrer Größe von höchstens 0,1 µm sind bakterielle Magnetosome (Abb. 1) magnetisch ideal stabil. In marinen und limnischen Sedimenten tragen solche biogenen Mineralisationen vielfach wesentlich zur NRM bei. Sie wurden in sedimentären Gesteinen bis zu präkambrischen Altern nachgewiesen. Genetische Untersuchungen ergaben Indizien für archaische Ursprünge der magnetotaktischen Bakterien. Als interessante Marginalie in diesem Kontext sei bemerkt, dass der aktuelle wissenschaftliche Disput um Lebensspuren auf dem Mars sich weitestgehend auf die Fragestellung reduziert, ob die in einem Meteoriten identifizierten Magnetitkristalle biologisch entstanden sind. Die Lösung wäre sicherlich auch im Hinblick auf ein früheres Magnetfeld des Mars von Belang.
Abb. 7: Alter der Ozeane nach magnetischen Krustenstrukturen. http://www.geosci.usyd.edu.au.
Neben ihrer elementaren Bedeutung für plattentektonische Rekonstruktionen finden paläomagnetische Daten sehr erfolgreich Anwendung bei der Datierung von Gesteinen. Magnetochronologische Methoden nutzen die Polaritätswechsel des Erdmagnetfeldes als Zeitmarken. Sie lassen sich besonders effizient nutzen für detaillierte stratigraphische Gliederungen von sich mehr oder weniger kontinuierlich bildenden Formationen, wie marinen sedimentären Ablagerungen oder der magmatischen ozeanischen Kruste. Damit gelang der Nachweis, dass die heutigen Ozeane maximal nur etwa 180 Millionen Jahre alt sind (Abb. 7), im Vergleich zu den Kontinenten also recht junge geologische Strukturen darstellen. Über diesen hinreichend vollständig dokumentierten Zeitraum haben sich Umkehrungen der Polarität, ein Platztausch von magnetischem Nord- und Südpol, im Mittel mehrfach pro Million Jahre ereignet. Die Intervalle zwischen Polaritätswechseln variieren in weiten Grenzen, von nur wenigen zehntausend bis zu 10er Millionen Jahren. Längere Zeiträume sind durch häufige, andere durch relativ wenige Umpolungen charakterisiert (Abb. 8). Gesicherte Erkenntnisse, welche Prozesse entscheidend sind für diese auffälligen Kontraste, stehen noch aus.
Abb. 8: Geomagnetische Polaritätszeitskala der letzten etwa 160 Millionen Jahre. Phasen normaler (heutiger) Polarität sind schwarz, inverse Polaritäten weiß gekennzeichnet.
Abb. 9: Numerische Simulation des geomagnetischen Feldes über etwa 9000 Jahre vor, während und nach einem Polaritätswechsel. Die weißen Kreise markieren den inneren festen und äußeren flüssigen Kern. In der linken Hälfte sind die Feldlinien jeweils nach Norden (grün) oder Süden (gelb), in der rechten Hälfte nach Westen (blau) oder Osten (rot) gerichtet.
http://www.psc.edu/science/Glatzmaier/glatzmaier.html.
Auch im Hinblick auf eine Reihe anderer wesentlicher Aspekte ist die verfügbare Datenbasis bislang unzureichend. So werden für die Dauer einer Feldumkehr wenige hundert bis viele tausend Jahre diskutiert. Ebenso ist weitgehend unklar, welche Feldkonfigurationen dabei dominieren, Dipol- oder Multipolgeometrien, und inwieweit die übliche Hypothese generell zutrifft, die Intensität des Feldes verringere sich drastisch. Lassen sich diese Fragen allgemein gültig lösen oder hat jede einzelne Feldumkehr ihre individuellen Merkmale? In verschiedener Beziehung aufschlussreiche, teils auch unerwartete Ergebnisse sind mit den schon zuvor angesprochenen numerischen Simulationen des Geodynamos erzielt worden (Abb. 9). Danach ist die Polarität des den inneren Kern durchdringenden Feldes stets dem an der Erdoberfläche beobachteten Feld entgegengesetzt. Nur wenn beide Felder sehr schwach werden, kann sich die Polarität des äußeren Kerns auch im inneren Kern durchsetzen mit dem Resultat eines Polaritätswechsels an der Erdoberfläche. Das innere Kernfeld ist nach diesem Befund ausschlaggebend dafür, ob und in welcher Zeit sich eine neue Polarität etablieren kann.
*Fachbereich Geowissenschaften,
Universität Bremen
bleil@uni-bremen.de
dobeneck@uni-bremen.de
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Quelle: http://www.g-v.de/content/view/577/59/